Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht erklärt Beitragsanpassungsklauseln der PKV teilweise für unwirksam

Nachdem durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 28.12.1999 1 BVR 2203/98 grundsätzlich bestätigt wurde, dass die ordentlichen Gerichte im Streitfall eine umfassende inhaltliche und rechtliche Überprüfung einer beanstandeten Prämienanpassung in der privaten Krankenversicherung vorzunehmen haben, hat der Bundesgerichtshof (BGH) im Urteil des BGH vom 16.06.2004 - IV ZR 117/02 Grundsätze zu den Voraussetzungen und den Prüfungsmaßstäben für eine Beitragsanpassung in der privaten Krankenversicherung festgestellt.

Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) erklärte daraufhin in den Veröffentlichungen der BaFin (VerBaFin) vom August 2004, S.4, dass verwendete Klauseln, die von dem nach diesem Urteil erforderlichen gesetzlichen Verfahren abweichen, unwirksam sind:
 

Anordnungen und Verwaltungsgrundsätze

Urteil des Bundesgerichtshofes vom 16.06.2004 (IV ZR 117/02) zu den Voraussetzungen und den Berechnungsmaßstäben für eine Prämienanpassung durch den Krankenversicherer

Mit einem Grundsatzurteil hat der Bundesgerichtshof Aussagen zu den inhaltlichen und formalen Voraussetzungen von Beitragsanpassungen getroffen. Der Bundesgerichtshof hat u.a. entschieden, dass unter dem Begriff „Tarif“ in § 12b Abs. 2 VAG die „Beobachtungseinheit“ nach § 14 KalV zu verstehen ist. Weiter hat er entschieden, dass eine Prämienanpassung nur in der Beobachtungseinheit erfolgen darf, in der der auslösende Faktor die durch Gesetz festgelegte Grenze von 10% bzw. eine vertraglich vereinbarte geringere Grenze überschritten hat. Der Bundesgerichtshof weist ausdrücklich darauf hin, dass nach § 178o VVG von dem in § 178g Abs. 1 und Abs. 2 VVG i.V.m. § 12b Abs. 2 VAG i.V.m. § 14 KalV festgelegten Verfahren nicht zum Nachteil des Versicherungsnehmers abgewichen werden darf.

Allgemeine Versicherungsbedingungen, die vorsehen, dass auch Beobachtungseinheiten angepasst werden können, bei denen der auslösende Faktor nicht angesprungen ist, sind nach Auffassung der BaFin unwirksam. An ihre Stelle tritt die vorgenannte gesetzliche Regelung.

Die BaFin geht davon aus, dass die Versicherer ihre Vorgehensweise unverzüglich rechtskonform ausgestalten und laufende und künftige Prämienanpassungen an den Grundsätzen des Urteils des Bundesgerichtshofes ausrichten.

Soweit Versicherer in der Vergangenheit für Beitragsanpassungen eine unwirksame Klausel angewendet haben und aufgrund dieser vom gesetzlich vorgeschriebenen Verfahren abgewichen sind, kann dies die Unwirksamkeit der betreffenden Beitragsanpassungen zur Folge haben. Ob dies bei einer Beitragsanpassung der Fall war, läßt sich mit sachverständiger Hilfe nach Überprüfung der zugrundeliegenden Unterlagen des Versicherers relativ kostengünstig feststellen, ohne dass eine aufwendigere detaillierte Überprüfung aller Berechnungsgrundlagen erforderlich wird.

Die Signal Krankenversicherung war vor dem Landgericht Dortmund beklagt. Das Urteil des BGH vom 16.06.2004 - IV ZR 117/02 bezieht sich auf diesen Fall. Die Signal Krankenversicherung hatte in ihren Versicherungsbedingungen durch eine tarifliche Regelung im Teil II der AVB ergänzend zur nach wie vor wirksamen Beitragsanpassungsklausel des § 8b der Musterbedingungen (MB/KK) teilweise geregelt, dass sie auch solche Beobachtungseinheiten (z. B. Männer) anpasst, wo die maßgebliche Abweichung aus der Gegenüberstellung der erforderlichen und der kalkulierten Versicherungsleistungen - der sogenannte Auslösende Faktor - den vereinbarten Prozentsatz nicht überschritten hat, wenn die erforderliche Abweichung nur in zumindest einer anderen Beobachtungseinheit (z. B. Frauen) des Tarifs gegeben war. Diese Verfahrensweise hat der BGH nun ausdrücklich für unzulässig erklärt.

Der Vorstand der Debeka Krankenversicherung Ulrich Weber äußerte gegenüber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ vom 18. Juni 2004):

Bei der Debeka, der größten deutschen Krankenversicherung, hieß es, der Bundesgerichtshof stelle eine jahrzehntelange Praxis der Versicherer in Frage. Schon immer hätten sie die Prämien der Frauen überprüft und gegebenfalls erhöht, wenn es bei den Männern zu höheren Schäden gekommen sei. Da umgekehrte gelte ebenfalls.

Um diese nun vom BGH als unzulässig erklärte Praxis auch in den Versicherungsbedingungen ausdrücklich klarzustellen, hatten verschiedene Versicherer – darunter die Signal – ab Ende der 90er Jahre im Treuhänderverfahren Bedingungsänderungen vorgenommen. Diese nun auch von der BaFin insofern als unwirksam beurteilten Klauseln, an deren Stelle rückwirkend die gesetzliche Regelung tritt – finden sich bei betroffenen Versicherern in den Versicherungsbedingungen Teil II – ergänzend zur Beitragsanpassungsklausel § 8b der Musterbedingungen (Teil I der AVB). Sie lauteten beispielsweise:

Ergibt die in Teil I Abs. 1 genannte Gegenüberstellung für wenigstens eine Beobachtungseinheit einer Tarifstufe eine Abweichung von mehr als 10 %, werden die Beiträge aller Beobachtungseinheiten dieses Tarifs vom Versicherer überprüft und, soweit erforderlich, mit Zustimmung des Treuhänders angepaßt. (Inter Krankenversicherung a. G.)

Ergibt diese Gegenüberstellung eine Abweichung von mehr als 10%, werden alle Beiträge dieses Tarifs vom Versicherer überprüft und, soweit erforderlich, mit Zustimmung des Treuhänders angepaßt. Die Überprüfung aller Tarifbeiträge wird durchgeführt, wenn die Abweichung in mindestens einer Bestandsgruppe (Männer, Frauen, Kinder und Jugendliche) oberhalb des Anpassungsfaktors liegt. (AXA Krankenversicherung AG)

Die Gegenüberstellung gemäß Absatz 1, Satz 2 wird für jede Beobachtungseinheit des Tarifs (zum Begriff "Beobachtungseinheit" vgl. Ziffer 4.22 des Tarifs) getrennt nach Männern, Frauen und Kindern (vgl. § 8 Ziffer 1.1) durchgeführt. Ergibt sich dabei in mindestens einem Fall eine Abweichung von mehr als 10 %, so werden die Beiträge aller zu dieser technischen Berechnungsgrundlage gehörenden Beobachtungseinheiten (vgl. § 8 a Abs. 1 bzw. Ziffer 4.22 des Tarifs) überprüft und, soweit erforderlich, mit Zustimmung des Treuhänders angepasst. (Barmenia Krankenversicherung a. G.)

Die erforderlichen Versicherungsleistungen werden in jeder Beobachtungseinheit (z. B. Frauen, Männer, Jugendliche, Kinder) den kalkulierten Versicherungsleistungen gegenübergestellt. Ergibt die Gegenüberstellung in nur einer Beobachtungseinheit eine Abweichung von mehr als 10 % der erforderlichen zu den in den technischen Berechnungsgrundlagen kalkulierten Versicherungsleistungen, so werden alle Tarifbeiträge vom Versicherer überprüft und, soweit erforderlich, mit Zustimmung des Treuhänders angepaßt. (Asstel)

Der zumindest jährlich für jeden Tarif durchzuführende Vergleich der erforderlichen mit den kalkulierten Versicherungsleistungen wird für jede Beobachtungseinheit (männliche Erwachsene, weibliche Erwachsene) des Tarifs gemäß dem in den Technischen Berechnungsgrundlagen festgelegten Verfahren durchgeführt. Der tariflich festgelegte Vomhundertsatz beträgt 10%. Ergibt die Gegenüberstellung bei mindestens einer Beobachtungseinheit eine Abweichung von mehr als diesem Vomhundertsatz, so werden die Tarifbeiträge aller Beobachtungseinheiten überprüft und, soweit erforderlich, mit Zustimmung des Treuhänders angepaßt.(Alte Oldenburger)

Ergibt die in Teil I Abs. 1 genannte Gegenüberstellung für wenigstens eine Beobachtungseinheit einer Tarifstufe eine Abweichung von mehr als 10 %, werden die Beiträge aller Beobachtungseinheiten dieses Tarifs vom Versicherer überprüft und, soweit erforderlich, mit Zustimmung des Treuhänders angepaßt. Bei einer Abweichung von mehr als 5 % können diese vom Versicherer überprüft und, soweit erforderlich, mit Zustimmung des Treuhänders angepaßt werden. Als Beobachtungseinheiten kommen grundsätzlich Männer, Frauen, männliche bzw. weibliche Jugendliche und Kinder in Betracht. (FAMK - Freie Arzt- und Medizinalkasse, Frankfurt)

Die Aufzählung ist nicht abschließend; je nach Tarif und Versicherer können auch abweichende Klauseln verwendet worden sein. Ob bei bestimmten Versicherern und Tarifen eine unwirksame Klausel gegeben ist, bedarf also der Überprüfung im Einzelfall.

Soweit die Klausel unwirksam ist, tritt an ihre Stelle zunächst die gesetzliche Regelung, die nach den Vorgaben des BGH-Urteils auszulegen ist. Eine Beitragsanpassung, die unter Berufung auf eine solche unwirksame Klausel in den vergangenen Jahren durchgeführt wurde, kann jedoch im Einzelfall auch nach den gesetzlichen Voraussetzungen zulässig gewesen sein. Es ist also jeweils – wie stets bei der Überprüfung von Beitragsanpassungen durch den Sachverständigen – nach der vom Versicherer dem Treuhänder und der BaFin vorgelegten Gegenüberstellung der erforderlichen und kalkulierten Versicherungsleistungen zu überprüfen, ob die Veränderungen tatsächlich auch in der jeweils angepaßten Beobachtungseinheit eingetreten waren.

Sollte diese Voraussetzung gegeben sein, so kann dennoch die Beitragsanpassung unzulässig sein, wenn die übrigen Voraussetzungen, auf die z. B. das Urteil des BGH eingeht, nicht gegeben sind. Diese sind allerdings nur durch ein weiteres deutlich aufwendigeres Sachverständigengutachten zu überprüfen.

Das BGH-Urteil beendet eine seit spätestens 1999 bestehende Meinungsverschiedenheit darüber, wie die Beitragsanpassungsklausel § 8b MB/KK vor dem Hintergrund der seit 1994 geltenden gesetzlichen Regelungen des § 12b VAG (Versicherungsaufsichtsgesetz) und des § 178g VVG (Versicherungsvertragsgesetz) anzuwenden sei. So stellt Wolfgang Sommer (Regierungsdirektor im BaFin) in Neue Fragen zu Beitragsanpassungen und zur Kalkulation der Beiträge in der privaten Krankenversicherung, Zeitschrift für Versicherungswesen Juni 1999, S. 319ff (1. Zur Anwendung der Beitragsanpassungsklausel) zur Beitragsanpassungsklausel fest:

Damit können die Beiträge dann angepaßt werden, wenn der auslösende Faktor die vertraglich festgelegte Grenze überschritten hat. Allerdings folgt aus § 8b Abs. 1 MB/KK 94, daß auch nur die Beiträge dieser Beobachtungseinheit nachkalkuliert werden dürfen. Beitragsänderungen in anderen Beobachtungseinheiten oder sogar in anderen Tarifen mit einem abweichenden Leistungsversprechen, in denen der auslösende Faktor die vertraglich festgelegte Grenze nicht überschritten hat, sind nicht zulässig.

Sommer weist dort auch ausdrücklich darauf hin, dass sich die Versicherer nicht auf eine jahrzehntelange Praxis berufen können, da die Rechtslage mit Einführung des § 12b VAG sich seit 1994 geändert hat. Eine vom Gesetz zum Nachteil der Versicherten abweichende Klarstellung in den Versicherungsbedingungen - wie von Seiten mancher Treuhänder vorgeschlagen - sei deshalb auch nicht möglich.

Der Sachverständige stellt sukzessive weitere Informationen zum Thema Beitragsanpassung auf der speziellen Seite unter dem Link Beitragsanpassungen zusammen, Homepage: www.beitragsanpassung.de.
 


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