Privatgutachten im Gerichtsverfahren

Für die gerichtliche Überprüfung von Beitragsanpassungen in der PKV - private Krankenversicherung - haben Privat- und Gerichtsgutachten ausschlaggebende Bedeutung.

Privatgutachten sind kein Beweismittel, sondern Parteivortrag.

Ein von der Partei vorgelegtes Privatgutachten ist qualifizierter Parteivortrag, der vom Gericht entsprechend beachtet, zur Kenntnis genommen, ernsthaft erwogen und in die Entscheidungsfindung einbezogen werden muss (vgl. BverfG NJW 1997, 122)

Liegen – wie dies bei Privatgutachten zu versicherungsmathematischen Fragen häufig ist – zunächst nicht alle internen Unterlagen des Versicherers vor, so sind den Feststellungen des Privatgutachtens naturgemäß Grenzen gesetzt. Dies führt jedoch nach einem Urteil des BGH vom 20. September 2002 – V ZR 170/01 nicht dazu, dass ein entsprechender Parteivortrag, der sich auf das Gutachten stützt, als Vorbringen „ins Blaue hinein“ rechtsmissbräuchlich wäre:

ZPO § 138 Abs. 1

Bei Vorlage eines Privatgutachtens kann ein rechtsmißbräuchliches Vorbringen "ins Blaue hinein"; nicht schon dann bejaht werden, wenn das Privatgutachten nach tatrichterlicher Einschätzung das Beweismaß verfehlt, das nach § 286 ZPO für die Überzeugung von der Wahrheit einer Behauptung zu fordern ist.

BGH, Urteil vom 20. September 2002 - V ZR 170/01 - KG , LG Berlin

Diese Pflicht des Gerichts, qualifizierten Parteivortrag ernst zu nehmen, verpflichtet auch den Gerichtsgutachter, die sachkundigen Ausführungen in einem von einer Partei vorgelegten Privatgutachten ernstzunehmen und sie bei der Erstellung des Gerichtsgutachtens mit einzubeziehen. So wie sich das Gericht mit Einwendungen gegen ein Gerichtsgutachten in einem Privatgutachten "ebenso sorgfältig auseinanderzusetzen hat, als wenn es sich um die abweichende Stellungnahme eines von ihm bestellten Gutachters handeln würde" (BGH NJW 1986, 1930) und dann, falls erforderlich, ein weiteres Gerichtsgutachten einholen muss, muss auch der Gerichtsgutachter sich mit einem vorgelegten Privatgutachten kritisch auseinandersetzen. (vgl. Bayerlein, Sachverständigenrecht, 3. Aufl. 2002, S. 326f)

Kosten eines Privatgutachters dürften im Bereich der Versicherungsmathematik in der Regel als notwendige Prozesskosten erstattungsfähig sein, was auch für die mögliche Kostentragung durch eine Rechtsschutzversicherung bedeutsam sein kann. Meist wird nämlich die Partei weder in der Lage sein, überhaupt ohne Privatgutachten eine Klage zu substantiieren, noch zu einem Gerichtsgutachten qualifiziert Stellung zu nehmen. Auch kann erst der Privatgutachter die „Waffengleichheit“ herstellen, wenn der Prozessgegner über versicherungsmathematische Fachleute verfügt.

Kosten für ein erst während des Prozesses eingeholten Privatgutachten sind etwa dann "notwendig" im Sinne des § 91 ZPO, wenn die Partei ohne fachliche Beratung nicht in der Lage wäre, Fragen an den gerichtlichen Sachverständigen zu formulieren, ein mit guten Gründen für falsch gehaltenes Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen zu widerlegen oder der Anforderung des Gerichts zur fachlichen Substanziierung ihres Sachvortrags nachzukommen (vgl. OLG Düsseldorf, OLG-Report 1997, 245; OLG Stuttgart, NJW-RR 1996, 255; OLG Hamm, OLG-Report 1996, 105; Zöller-Herget, ZPO, 21. Aufl., § 91 Rn 13 "Privatgutachten"; m.w.N.; Thomas-Putzo, ZPO, 22. Aufl., § 91 Rn 49).

Die folgenden Ausführungen mit angegebenen Urteilen und das im Anschluss zitierte Urteil des OLG Nürnberg zur Erstattungsfähigkeit von Privatgutachten im gerichtlichen Verfahren geben einige weitere Hinweise:
 

Gerichtliche Erstattung von Gutachterkosten

Eine Prozesspartei, die vorprozessual ein Privatgutachten einholt, hat großes Interesse daran, die Kosten dieses Privatgutachtens als erstattungsfähige Kosten im Prozess geltend zu machen. Nur dann besteht ein Anspruch auf Erstattung der Kosten des Privatgutachtens durch die unterliegende Gegenseite.

In der Regel sind Kosten eines eingeholten Privatgutachtens zwar nicht erstattungsfähig, doch bestehen dazu wesentliche Ausnahmen.

Die Kosten für ein vorprozessual eingeholtes Privatgutachten sind erstattungsfähig, wenn die Beauftragung des Sachverständigen zur ordnungsgemäßen Prozessvorbereitung und aus Gründen der Waffengleichheit erforderlich war.

Die Kosten für die Beauftragung eines Sachverständigen sind erstattungsfähig, wenn die Partei ihre Behauptung nur mit Hilfe dieses Privatgutachtens darlegen und unter Beweis stellen kann:

vgl. dazu:
OLG Frankfurt, Beschluss v. 07.05.1992 - 18 W 200/91, OLGR 1992, 148
OLG Frankfurt, Beschluss v. 01.06.1992 - 18 W 125/92, OLGR 1992, 132
OLG Frankfurt, Beschluss v. 22.07.1992 - 15 W 45/92, OLGR 1992, 147

Die Kosten eines Privatgutachtens, das eine Partei im Rechtsstreit einholt, sind erstattungsfähig, wenn die Partei nur damit ihrer Darlegungspflicht genügen und die erforderlichen Beweisanträge vorbereiten kann:

LG Kiel, Beschluss v. 04.08.1992 - 13 T 111/92; IBR 1992, 432

Vorgerichtliche Kosten für Privatgutachten sind erstattungsfähig, wenn und soweit sie durch das im späteren Prozess verfolgte Rechtsschutzziel veranlasst gewesen sind. Werden nur Teile des Gutachtens im späteren Prozess weiterverfolgt, ist eine anteilige Erstattung möglich.

Während des Rechtsstreits eingeholte Privatgutachten sind erstattungsfähig, wenn die Partei ohne diese Hilfe außer Stande wäre,
- ihrer Darlegungs- oder Beweislast zu genügen, oder
- sich sachgerecht mit dem Vorbringen des Gegners oder den Ergebnissen eines vom Gericht eingeholten Sachverständigengutachtens auseinanderzusetzen, oder
- wenn die Partei annehmen konnte, nur mit Hilfe des Gutachtens das Gericht zu überzeugen, in eine weitere Beweisaufnahme einzutreten.
(OLG Köln, Beschluss v. 14.06.1995 - 17 W 240/94, 17 W 241/94; BauR 1995, 881)

Kosten des privaten Sachverständigengutachtens sind also - als notwendige Rechtsverfolgungskosten - erstattungsfähig, wenn die Einholung des Gutachtens aus der Sicht einer verständigen Partei bei objektiver Würdigung als notwendig anzusehen waren.

(OLG Stuttgart, Beschluss v. 12.03.1998 - 1 U 92/97; OLGR 1998, 198)

Privatgutachtenkosten sind dann nicht erstattungsfähig, wenn z. B.

- die Partei selbst in der Lage ist, die entsprechenden Leistungen zu erbringen und dafür von keiner besonderen Sachkunde auszugehen ist (OLG Bamberg, Beschluss v. 08.09.1993 - 3 W 67/93; BauR 1994, 138)
- Eine unmittelbare Prozessbezogenheit des Privatgutachtens fehlt
(OLG München, Urteil v. 22.11.1991 - 11 W 2557/91, IBR 1993, S. 129)

Es empfiehlt sich, bei Fragen nach der Erstattungsfähigkeit der Privatgutachterkosten in jedem Fall die Beratung durch einen Rechtsanwalt in Anspruch zu nehmen.



Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Nürnberg in Zivilsachen

Kostenrecht im Zivilprozess

Kostenerstattung für Privat-Gutachten

Unterschiedlich strenge Voraussetzungen für vorprozessual und für während des laufenden Prozesses eingeholte Privat-Gutachten

Oberlandesgericht Nürnberg

- Leitsatz-Sammlung -

Kostenerstattung für Privatgutachten

1.Die Kosten eines vorprozessual eingeholten Privatgutachtens sind erstattungsfähig, wenn es aus Sicht der Partei notwendig war, um eine ausreichende Grundlage für die beabsichtigte Rechtsverfolgung zu schaffen.

2. Die Kosten für ein Privatgutachten, das - erstmalig oder ergänzend - erst während des Prozesses eingeholt wird, sind nur unter engen Voraussetzungen erstattungsfähig.

Oberlandesgericht Nürnberg,

Beschluss vom 13.11.2000, Az. 4 W 3836/00


B e s c h l u s s

Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten wird der Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts ... vom 21. September 2000 dahin geändert, dass die von der Beklagten an die Klägerin zu erstattenden Kosten 13.473,57 DM betragen (statt 14.301,67 DM).

1. Die weitergehende sofortige Beschwerde wird zurückgewiesen.

G r ü n d e

I

Das Rechtsmittel ist zulässig. Der Senat wertet den als "Erinnerung" bezeichneten Rechtsbehelf der Beklagten vom 12. Oktober 2000 als sofortige Beschwerde. Als solche ist das Rechtsmittel - anders als eine Erinnerung - statthaft; einer Abhilfeentscheidung durch den Rechtspfleger des Landgerichts ... bedurfte es nicht (§ 104 Abs. 3 Satz 1 ZPO; § 11 Abs. 1 RPflG; vgl. OLG Nürnberg , JurBüro 1999, 537 m.w.N.).

II

Die sofortige Beschwerde ist (nur) zum Teil begründet.

1) Allerdings hat das Landgericht im Kostenfestsetzungsbeschluss zu Recht entschieden, dass die Einholung eines vorprozessualen Privatgutachtens zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig war (§ 91 ZPO).

Die rechtlichen Voraussetzungen für die Erstattungsfähigkeit von Privatgutachterkosten sind in den Beschluss-Gründen zutreffend wiedergegeben. Der Senat teilt auch die Einschätzung des Landgerichts, dass diese rechtlichen Anforderungen vorliegend erfüllt waren. Angesichts der komplizierten Sachlage, die sich nicht zuletzt in der langen Verfahrensdauer, im weit überdurchschnittlichen Umfang der Akten und in der nachhaltigen Diskussion komplizierter technischer Zusammenhänge widerspiegelt, war es der Klägerin nicht zuzumuten, die bereits ins Auge gefasste Klage ohne fachliche Vorbereitung zu erheben, - noch dazu gegen eine Beklagte, die nicht nur über eigene Fachleute verfügte, sondern sich möglicherweise auch noch des Sachverstands der hinter ihr stehenden Haftpflichtversicherung bedienen konnte. Dem Ansinnen, im Hinblick auf den hohen Streitwert zunächst nur eine Teilklage zu erheben, wegen des dadurch verringerten Prozessrisikos auf ein vorprozessuales Privatgutachten zu verzichten und sich voll auf das Gutachten eines vom Gericht beauftragten Sachverständigen zu verlassen, hätte die Klägerin zwar folgen können; verpflichtet war sie dazu aber nicht. Auch war sie unter den gegebenen Umständen rechtlich nicht gehalten, den Weg eines selbstständigen Beweisverfahrens einzuschlagen.

Rückblickend betrachtet hat das Privatgutachten seinen Zweck im Wesentlichen erreicht. Es hat den Weg für eine sachgerecht vorbereitete Klage geebnet und bildete eine geeignete Grundlage, auf der die weiteren gerichtlich angeordneten Beweiserhebungen aufbauen konnten.

2) Hingegen waren die Kosten für die beiden erst während des Prozesses eingeholten Ergänzungs-Gutachten nicht "notwendig" im Sinne des § 91 ZPO. Solche Aufwendungen wären nur unter besonderen Umständen erstattungsfähig, etwa dann, wenn die Partei ohne fachliche Beratung nicht in der Lage wäre, Fragen an den gerichtlichen Sachverständigen zu formulieren, ein mit guten Gründen für falsch gehaltenes Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen zu widerlegen oder der Anforderung des Gerichts zur fachlichen Substanziierung ihres Sachvortrags nachzukommen (vgl. OLG Düsseldorf, OLG-Report 1997, 245; OLG Stuttgart, NJW-RR 1996, 255; OLG Hamm, OLG-Report 1996, 105; Zöller-Herget, ZPO, 21. Aufl., § 91 Rn 13 "Privatgutachten" m.w.N.; Thomas-Putzo, ZPO, 22. Aufl., § 91 Rn 49). Von solchen Ausnahmefällen abgesehen ist in einem anhängigen Prozess für die Klärung umstrittener Tatsachen-Fragen grundsätzlich die Beweisaufnahme vorgesehen und in deren Rahmen - falls erforderlich - die Einholung eines Sachverständigengutachtens durch das Gericht.

Dem angefochtenen Beschluss ist nicht zu entnehmen, ob das Landgericht die unterschiedlich strengen Voraussetzungen für vorprozessuale Privatgutachten einerseits und für prozessbegleitende Privatgutachten andererseits bedacht hat. Die Beschlussgründe heben den Unterschied zwischen beiden Fallgestaltungen jedenfalls nicht ausdrücklich hervor. Nach Ansicht des Senats reichen die von der Klägerin vorgetragenen Gesichtspunkte nicht aus, um über das vorprozessuale Gutachten hinaus auch noch die beiden während des Prozesses eingeholten Ergänzungs-Gutachten als erstattungsfähig einzustufen.

Beide Ergänzungs-Gutachten mögen aus Sicht der Klägerin prozesstaktisch durchaus zweckmäßig und vorteilhaft gewesen sein. Notwendig im Sinne des § 91 ZPO waren sie aber nicht. So hätten die fachlichen Ausführungen, die die Beklagte in der Klageerwiderung vorgebracht und zu denen die Klägerin das mit Datum 14.5.1995 berechnete Privatgutachten angefordert hatte, auch in dem sich ohnehin abzeichnenden gerichtlichen Sachverständigen-Gutachten mitbehandelt werden können. Eventuelle Einwendungen gegen den mittlerweile erlassenen Beweisbeschluss, die sich die Klägerin von der mit Datum 11.4.1996 berechneten Auskunft versprach, hätten dem Gericht unmittelbar vorgetragen werden können. Wären ihre Bemühungen, sich mit ihren Anliegen unmittelbar an das Gericht zu wenden, trotz berechtigten Anlasses erfolglos geblieben, hätte die Klägerin immer noch ihren Privatgutachter zu Rate ziehen können. So lag der Fall jedoch hier nicht; jedenfalls ist dazu nichts vorgetragen.

Zur Höhe der notwendigen Privatgutachterkosten sind in der Beschwerde-Entscheidung nur insoweit Ausführungen veranlasst, als sie die Rechnung vom 19.4.1994 betreffen (oben Nr. 1). Die Einwendungen der Beklagten gegen die Höhe der beiden anderen Rechnungen sind gegenstandslos, weil sie - wie in Nr. 2 dargelegt - ohnehin nicht erstattungsfähig sind.

Bei der Rechnung vom 19.9.1994 über 9.817,10 DM (netto) bezweifelt die Beklagte die Angemessenheit des Sachverständigen-Honorars, ohne allerdings konkret darzulegen, woraus sich der Klägerin Bedenken gegen die beanspruchte Vergütung hätten aufdrängen müssen. Fehlen stichhaltige Anhaltspunkte dafür, dass eine Sachverständigen-Rechnung überhöht ist, so braucht sich der Auftraggeber nicht auf Auseinandersetzungen mit dem von ihm beauftragten - noch dazu öffentlich bestellten und vereidigten - Sachverständigen über den Anfall und die Notwendigkeit von Arbeitsstunden einzulassen. ......



Beschluss des Oberlandesgericht Nürnberg - OLG Nürnberg - vom 13.11. 2000, Az. 4 W 3836/00
 


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